Um das gleich loszuwerden: Er ist kompetitiv.
Das jedoch in einer charmanten, geradezu spielerischen Art. Gestern Nacht noch, sagt er, sei er sehr spät ins Bett gekommen. Und an diesem frühen Morgen im Engadin, der noch ziemlich grau und auch ein bisschen kalt ist, steht er vor einem, gut gelaunt, lachend, keine Spur vom arbeitsgeplagten Vorabend. Sein erster Satz ist ein freundlicher Morgengruss.
Sein zweiter: «Um was spielen wir?» Er schmunzelt.
Wir spielen, entgegne ich, um zu sehen, wie Du auf die Bälle reagierst, die vielleicht gar nicht so fliegen wollen, wie Du es willst. Um zu hören, was Du über das Golfen denkst und auch über das Leben. Und natürlich übers Kochen. Er ist der Robert Wilson unter den Köchen, aber ist er es auch unter den Golfern? Meine erste Frage an ihn sollte eigentlich lauten: Ist die Bekleidung beim Golf nur dann angemessen, wenn sie bereits ein Handicap an sich darstellt? Die Antwort darauf gibt bereits sein Outfit, das so gar nicht gehandicapt aussieht: Er trägt schwarz. Sportlich, elegant. Stilistisch so perfekt wie eine seiner Kreationen, für die gourmetaffine Menschen aus ganz Europa zu seinem Restaurant und Hotel Schloss Schauenstein anreisen. Und sein Spiel?
Vor mehr als 20 Jahren, sagt er, sei er in Kanada gewesen. Beruflich. Ein befreundeter Koch brachte ihn zum Golfen. Drei Jahre habe er «nur aus Gefühl und Intuition» gespielt, immer wieder geprobt, bis er schliesslich einen Pro aufsuchte, der seinen Schwung komplett umstellte. Wir starten unsere gemeinsame Runde auf den back nine des Golfplatzes in Samedan.
Für seinen ersten Abschlag greift er zum Eisen 4 und positioniert sich. Er ist Linkshänder, wie Winston Churchill, der ein grandioser Golfer und in St. Moritz auch regelmässig zu Gast war. Er hat einmal gesagt: «Golf ist ein Spiel, bei dem man einen zu kleinen Ball in ein viel zu kleines Loch schlagen muss, und das mit Geräten, die für diesen Zweck denkbar ungeeignet sind.»
Was Churchill und Caminada neben dem Golfen noch verbindet: Ihre Beziehung zum Badrutts Palace. Churchill wurde dort eine Suite gewidmet, Caminada betreibt in dem legendären Hotel eines seiner Restaurants Igniv.
Sein erster Ball zielt schnurgerade Richtung Loch, mit dem zweiten ist er auf dem Grün, er puttet und liegt schliesslich eins über Par.
Zufrieden?
«Passt schon», sagt er.
Würdest Du einen Ball spielen, der in einem Kuhfladen gelandet ist?
»Das ist bisher noch nicht passiert. Ich würde ihn in einem Turnier für unspielbar erklären und wenn ich allein auf dem Platz bin, einfach ignorieren.«
Artischocken oder Auberginen?
»Beide mag ich. Wir bauen seit fünf Jahren Artischocken selbst an, ernten fast 1000 pro Saison. Es ist ein grandioses Gemüse, auch in seiner Form. Wenn ich mich entscheiden muss, dann immer für die Artischocke.«
Es ist kein Zufall, dass er die Form der Artischocke betont. Der Mann ist ein Schöngeist. Und es braucht nicht viel Zeit, um zu realisieren, dass er nicht nur technisch perfekt spielt, sondern auch stilistisch formvollendet. Das gibt er unumwunden zu. «Ich will eigentlich nur elegant spielen», sagt er. Ein schön gespielter Ball, der neben dem Grün liegt, sei ihm lieber als unschön drauf zu dreschen und auf dem Grün zu landen. Als er seinen Abschlag an Loch 14 jedoch komplett verreisst, da spaziert für einen Bruchteil von Sekunden etwas Mürrisches über sein Gesicht. Und auch der nächste Schlag landet nicht optimal, um es vorsichtig auszudrücken. Andreas Caminada steht nun in einem kleinen Wald und sucht den Ball. «In solchen Situationen«, sagt er, «braucht es Lockerheit und Demut. Wer denkt: Ich kanns, wird beim Golfen immer wieder eines Besseren belehrt. Übermut holt dich schnell wieder ein. Das gilt übrigens auch beim Kochen.»
Loch 14 ist auf dem Golfplatz in Samedan, der mit seinem «krausen, dürren Gras und dem breiten Bett eines Wasserlaufs» im Juni 1893 erstmals in der Alpine Post erwähnt wird, ein besonderes Loch. Schwierig zu spielen, aber idyllisch. Da stehen Lärchen geradezu gegnerisch im Weg und das Wasser eines Baches zieht die Bälle magisch an. Im Frühsommer sieht man hier zuweilen junge Füchse, die das Spiel neugierig verfolgen. Und noch etwas ist besonders. Da gab es diesen Engländer, John Plant, der über Jahre regelmässig nach St. Moritz kam und im Badrutts Palace wohnte. Nachdem er starb, meldete sich seine Nichte beim Engadine Golf Club und sagte, John habe testamentarisch festgelegt, dass seine Asche an Loch 14 verstreut werden sollte. Ein paar Wochen später kam sie mit der Urne. Gesagt, getan.
«Das könnte mir nicht passieren», sagt Andreas Caminada. «Eher würde ich meine Asche in einer Küche beisetzen lassen.» Er lacht.
Ist Dein Ehrgeiz größer als Dein Talent?
«Ich glaube schon. Es ist aber nicht ein verbissener Ehrgeiz, sondern mehr der Drang, sich ständig zu verbessern. Aus Freude über das, was man macht. Beim Kochen und beim Golfen.» In beiden Disziplinen hat er sozusagen den Zenit erreicht. Sein Restaurant in Schauenstein ist mit drei Sternen gekürt, sein Handicap beim Golfen ist einstellig. Da liegt die Frage nahe, ob es leichter ist, ein Drei-Sterne-Koch zu werden, oder ein Single-Handicaper.
«Gute Frage», sagt er, «beides erfordert viel Arbeit und Einsatz und einen Willen, etwas zu erreichen. Der Unterschied liegt darin, dass Du beim Golfen an Dir selbst arbeitest und beim Kochen im Team.»
Wenn Andreas Caminada übers Kochen spricht, braucht er immer das Wort «wir». Teamgeist ist ihm wichtig. «Allein schaffst Du es nicht», sagt er. Und er sei glücklich, wenn seine Mitarbeiter glücklich sind. Er werde in der Küche nicht laut, so etwas sei vielleicht früher, in einer stressigen Anfangszeit einmal vorgekommen. Dennoch schont er niemanden, und schon gar nicht sich selbst. Seine hohen Standards haben ihn selbst zur Marke gemacht. Mit über 100 Mitarbeitern und einem Ruf, der nicht nur über die Landesgrenzen, sondern auch über Europa hinaus geht. Er sagt: «Von Anfang an war mir klar, dass ich für Gäste ein Gesamterlebnis kreieren wollte. Die Ästhetik ist mir immer wichtig gewesen. Das geht bis zu den Gläsern und zum Besteck. Alles muss stimmen.»
Hast Du Dich schon mal für eine Kreation im Nachhinein geschämt?
«Wir haben Klassiker, die stehen seit 15 Jahren immer mal wieder auf der Karte», sagt er, «die zeigt man auch gerne mal seinen heutigen Gästen. Aber ja, es gab immer auch welche, über die ich dachte, oh, die machen wir mal lieber nicht mehr.»
Piment d’Espelette oder Ras el-Hanout?
«Ras el-Haount gefällt mir in einem Couscous. Piement d’Espelette ist bei mediterranen Gerichten sehr fein. Beides verwende ich in meiner Alltagsküche, auch zu Hause.»
Kein Baum, kein Wasser bringt Caminda bei diesem Spiel aus der Ruhe. Obwohl er zugibt, am Anfang ein bisschen nervös gewesen zu sein. Beim 16. Abschlag reisst für einen Moment der Himmel auf, und mit der Sonne kommt seine Lässigkeit ans Licht. Er ist definitiv ein Schönwetterspieler. Raketenartig zischt sein Ball davon, als würde er später im All landen wollen. Liegt dann aber doch erstaunlich nah am Loch. Noch eine Annäherung, zwei puts und fertig. Par.
An was denkst Du als erstes, wenn Du den Namen Tiger Woods hörst?
«An seine Affairen», sagt er und schmunzelt. Dann fügt er hinzu: «Er ist grandios. Golferisch fantastisch. Es hat mich sehr berührt zu sehen, dass er nach der ganzen Geschichte ein Comeback schafft. Sport – das sind Emotionen. Das mag ich daran.»
Am Ende des Spiels fällt ihm dann noch eine Parallele für seine Art zu Kochen und seine Art zu Golfen ein: Offen zu sein für Neues. Dinge ausprobieren. Chancen nutzen. «Wenn es nicht geht», sagt er, «dann hast Du es zumindest versucht. Es kann auch mal was schief gehen. Ein gewisses Risiko gehört immer dazu. Das macht die Sache spannend. Brauchen wir nicht alle ein bisschen Nervenkitzel?»