Schade, dass man nicht öfter so natürlich gut gelaunte und humorvolle Menschen trifft wie Rinaldo Willy. Der 42-jährige Engadiner erscheint an diesem frühen und noch leicht Wolkenverhangenen Sommertag auf dem Golfplatz in Zuoz und sagt: «Ich fühle mich grossartig.» Dann lacht er. Er hätte nämlich auch sagen können: «Ich bin mordsmässig aufgeregt.» Schliesslich hat er vor und wegen dieser Golfrunde zwei Nächte schlecht geschlafen. Es ist nämlich nicht irgendeine Runde. Sie ist deshalb besonders, weil er eine lange Zeit mit dem Golfen ausgesetzt hat und weil ihn der Autor dieser Zeilen begleitet und schaut, wie er die Bälle und damit sich selbst in diesem Spiel schlägt. Es geht also ums Wiedereinsteigen in den Golfsport. Und natürlich auch um ihn selbst. Was ist das für ein Mann, der aus der Asche verstorbener Menschen Diamanten macht und in 3300 Meter Höhe Whisky destilliert?
Ach, guck mal, möchte man sagen. Geht doch. Erster Abschlag zielgenau Richtung Fahne, insgesamt sieben Schläge. Drei über Par, das ist doch ziemlich platzreif. Rinaldo Willy schmunzelt und sagt: «Ich bin völlig baff, dass der Körper die Motorik für den Golfschwung abgespeichert hat.» Aber wie man weiss, ist der Körper zwischendurch auch immer mal wieder ein bisschen gemein – und dann läuft es gar nicht. Wie an diesem dritten Loch, an dem Rinaldo aufhört, seine Schläge zu zählen. Auf der Suche nach seinem Ball schlendert er durch die kniehohen Alpenblumen, den Blick nach unten gerichtet. Er nimmt es lässig. Kein Fluchen, keine falschen Erklärungen. «Das Leben», sagt er, «hat mich Demut gelehrt.» Und Demut lehre ihn auch das Golfen.
Wenn Rinaldo Willy vom Leben und von Demut spricht, dann kann es durchaus passieren, dass er auf das Thema Tod kommt. Denn dem hat er einmal sehr früh ins Auge geblickt. Er war Mitte zwanzig, gerade im Studium, da bekam Rinaldo Willy die Diagnose Krebs. In dieser Zeit ging er mehrfach auf einen Friedhof und beobachtete einmal zwei Männer, die ein altes Grab auflösen wollten. Er sagt: «Als sie die Reste eines Sarges aushoben, der noch gar nicht zerfallen war, war ich entsetzt und beschloss, dass ich im Falle meines eigenen Todes kremiert werden soll.» Und als er einen Artikel über einen russischen Wissenschaftler las, der zum Thema synthetische Diamanten forschte, kam ihm die Idee, die er gleich seinem Dozenten mitteilte: aus der Asche verstorbener Menschen Erinnerungsdiamanten herzustellen. Statt einen Leichnam also unter der Erde zu entsorgen, könne der aus dem Kohlenstoff der Kremationsasche gefertigte Diamant in der Familie von Generation zu Generation weitergegeben werden – und mit ihm auch die Geschichte und die Erinnerung an den geliebten Menschen. Sein Lehrer war zunächst ein bisschen konsterniert. Doch schon Monate später gründeten sie gemeinsam die Firma Algordanza – sie stellt Diamanten aus Kremationsasche her. Algordanza ist das romanische Wort für Erinnerung.
Rinaldo Willy ist in Zuoz aufgewachsen. Er hat den Krebs besiegt und das Geschäft mit den Erinnerungsdiamanten neben dem Golfplatz in Domat/Ems eröffnet. Eine gute Lage natürlich, um selbst mit dem Golfspielen zu beginnen. Zwischen 6 und 8 in der Früh machte er mit seinem damaligen Geschäftspartner die Platzreife, spielte mal in Italien und mal auf Mallorca, stellte jedoch fest, dass das Business und die Familie mit zwei kleinen Kindern kaum Zeit fürs Golfen liessen. So folgte eine lange Golfpause, die mit diesem Spiel beendet werden könnte.
Wir sind an Loch 4. Kurzer Abschlag. Rund 150 Meter zum Grün. Dazwischen Stein. Geröll. Canyon. Jetzt nur nicht irritieren lassen. Lässig bleiben, sagt Rinaldo. Er schwingt, schlägt, der Ball landet perfekt auf dem Grün. «Es gibt einige Parallele zwischen dem Golfen und dem Führen eines Unternehmens», sagt Rinaldo, «zum Beispiel kannst Du enorm gewinnen, wenn Du ein Risiko eingehst. Du kannst aber auch enorm verlieren. Die Kunst liegt in der richtigen Einschätzung des Risikos.»
Würdest Du Dich als risikofreudigen Menschen bezeichnen?
«Als Unternehmer eher, als Golfer nein. Wichtig ist, dass man sich auf Erfahrungen stützen kann. Du musst Abläufe und Mechanismen verstehen. Im Business habe ich natürlich viel mehr Erfahrungen.»
Rinaldo Willy ist ganz in Blau gekleidet. Aus seiner Golfbag, die während des Spiels auf dem Rücken trägt, zieht er nun einen kleinen Flachmann. Zeit, einen Schluck auf dieses Loch zu trinken, bei dem er ein Par gespielt hat. Und natürlich ist in dem Flachmann nicht irgendein Fusel, sondern feinster Whisky, den er zusammen mit seinem Freund Pascal Mittner in über 3300 Meter Höhe auf der Rückseite der Bergstation Corvatsch destilliert. ORMA heisst die exklusive Destillerie, die die beiden Visionäre am 10.10.2020 offiziell gegründet haben. «Whisky», sagt Rinaldo Willy, «passt perfekt ins Oberengadin. Wir haben hier eine ähnliche Melancholie wie die Schotten. Und die Seele unserer Landschaft mit ihren Flüssen, Bäumen und Bergen berührt die Menschen ähnlich wie die schottischen Highlands.»
Es ist nun Zeit, ihm ein paar Insiderfragen zu stellen.
Was ist ein guter Whisky?
«Ein guter Whisky», sagt er, «hat keine Fehlernoten und sollte nicht spritig riechen. Ein guter Whisky macht Lust, nach dem ersten Schluck einen zweiten zu trinken.»
Tumbler oder Nosing Glas?
«Nosing Glas.»
Pur? Mit Wasser oder on the Rocks?
«Pur.»
Was macht einen Whisky Liebhaber aus?
«Whisky-Trinker sind Gut-Menschen. Sie nehmen sich Zeit, geben für ein besonderes Destillat viel Geld aus und geniessen bewusst in kleinen Mengen. Es geht nicht ums Besaufen.»
Die kleine Menge aus dem Flachmann reicht an diesem Morgen auch aus, um beschwingt weiterzuspielen. Manchmal verlieren wir uns im Erzählen von Anekdoten. Das geht mit Rinaldo Willy ganz wunderbar. Als Kind habe er einmal versehentlich an einen Elektrozaun gefasst. Der Körper habe richtig gezappelt, es sei schwierig gewesen, den Zaun wieder loszulassen. Irgendwann später erzählt er von seinem Grossvater, der ihn in die Geschäftswelt eingeführt und ebenfalls zwei Firmen gegründet hat. Und ein ebenso spielerischer Mensch war.
«Schlechte Bälle blende ich aus und erfreue mich an den guten», sagt Rinaldo. Es gibt auch keinen Grund, sich über schlechte Bälle zu ärgern, denn das Umfeld ist grandios. Der Himmel über Zuoz reisst auf, die Sonne scheint. Bunt leuchten die Blumen auf den Bergwiesen und aus den Tannen hinter Loch 8 erhebt sich plötzlich ein Adler und fliegt majestätisch davon. «Ich liebe diese Landschaft», sagt Rinaldo, «wenn ich oben von unserer Destillerie auf das Berniner Massiv, den Biancograt und die Seen schaue, dann fühle ich mich lebendig.»
Spielst Du lieber in Zuoz oder in Samedan? Er zögert nicht lange. «In Zuoz», sagt er, «der Platz fordert mich in jeder Hinsicht mehr heraus. Sportlich und Mental. Und was wäre das Leben ohne Herausforderungen?»
Früher Vogel oder Nachteule?
«Früher Vogel.»
Nie wieder Whiskey oder nie wieder Diamanten?
«Nie wieder Diamanten», sagt er, geht zum Abschlag an Loch 9, legt den Ball aufs Tee und schwingt. Der Ball fliegt und fliegt und fliegt und landet perfekt, um bei diesem dog leg rechts Richtung Grün weiterzuspielen. Kurz später erreichen wir die Büvette. Es ist das kleine Holzhaus für grossartige Snacks. Bei einem kühlen Bier zieht Rinaldo Willy ein erstes Resümee: «Es hat irre viel Spass gemacht. Ich steige wieder ein ins Golfen. Jetzt muss ich nur noch meine Frau fürs Spielen begeistern. Ich bin ein Familienmensch. Und zusammen macht es am meisten Spass.» Seine Tochter und sein Sohn haben im Sommer bereits mit einem Schnupperkurs begonnen.