Es ist trüb. Kühl. Wolkenverhangen. Und wenn es an diesem Tag etwas Blaues zu sehen gibt, dann ist es nicht der Himmel über dem Golfplatz in Samedan, nicht dieses herrlich typische Himmelblau des Engadins, sondern das Outfit von Claudio Zuccolini. Ein Mann in Blau. Yves-Klein-blau seine Hose. Tiefseeblau seine Jacke. Und ja, auch sein Basecap ist ziemlich blau. Wir stehen am ersten Tee. Er holt aus, schwingt. Der Ball fliegt und fliegt und landet geradezu perfekt. Geschätzt 180 Meter weiter. Das schafft kein Mensch, der wirklich blau ist. «Sehr schön», sagt er, «der erste Abschlag ist für mich besonders wichtig. Wenn der ins Aus geht, dann wird es für mich erfahrungsgemäß ein schwieriges Spiel, um nicht zu sagen: bitterer Ernst.» Er lacht – und dabei sieht man seine charmante Zahnlücke, ein Erkennungszeichen, das er mit dem britischen Rennsportfahrer Lewis Hamilton teilt.
Ist Golf ein Gegenprogramm zu dem, was Du sonst machst? «Absolut», sagt er, «während wir über das Fairway ziehen, auf der Bühne rede ich und rede und rede. Hier schweige ich gerne und genieße die Natur.» Außerdem müsse er sich sehr konzentrieren, um ins Spiel zu kommen, denn um ein wirklich guter Spieler zu werden, fehle ihm auf dem Green der Ehrgeiz. Für seine Arbeit hat er ihn gewiss: Vielfach wurde er als Stand-up-Comedian dafür ausgezeichnet, die Menschen zum Lachen zu bringen. Und das macht er inzwischen seit über 17 Jahren. Er schaut auf ihre Macken und regt sich über alltägliche Themen geradezu köstlich auf. Nicht ohne Grund heißt sein aktuelles Programm: Der Aufreger.
Claudio Zuccolini. 53 Jahre alt. Spitzname: Zucco. Augenfarbe: Braun. Sternzeichen: Jungfrau. Und da sind wir schon mittendrin, denn die Jungfrau gilt ja als besonders fleissig, intelligent und vor allem auch neugierig. Gute Voraussetzungen für einen Comedian. Sonst noch was? Ja, auch das passt zur Jungfrau: Er sei ein absoluter Hypochonder. «Wenn ich zwei, drei Tage Kopfschmerzen habe, dann ist es für mich garantiert ein Hirntumor.» Er erzählt das, während wir seinen Ball in einem semi-hohen, mit gelben Blumen überzogenen Rough suchen. Und beim Thema «Suchen» fällt ihm noch etwas ein. Eine ganz persönliche Macke: «Ich habe wahnsinnig Angst, wenn ich irgendwo hinkomme, dass ich keinen Parkplatz finde. Und wenn es ein Ort ist, den gleichzeitig viele andere Menschen aufsuchen, ist das für mich der pure Psychostress.»
Das sind solche Themen, die er auch auf der Bühne zum Lachen komisch präsentiert. Aber auch auf dem Golfplatz wirken sie aus seinem Munde komisch. Vielleicht durch seine trockene Art, die Dinge zu benennen. Und wie beruhigend, dass ihn die Ballsuche im Rough nicht so aus der Fassung bringt wie die Suche nach einem Parkplatz. Dass er an Loch 3 Par spielt und sein Ball mit einem Schlag auf dem Grün von Loch 4 liegt, zeigt, wie konzentriert er gerade ist, obwohl wir uns unentwegt unterhalten. Letztens, erzählt er, habe er einem Kollegen geschrieben, dass Golf irrsinnig viel Spass mache, dass es gut für Körper und Geist sei, aber lustig, das sei Golf nun ganz und gar nicht. Man muss gleich hinzufügen, dass er erstaunlich ruhig bleibt und einmal sogar sein charmantes Zahnlücken-Lachen zeigt, als sein Ball an Loch 5 beim zweiten Schlag ins Wasser zielt. «Sollen ihn doch die Fische fressen», sagt er, und legt vors Wasser einen zweiten Ball, der dann perfekt auf dem Grün landet. Wie er sich aus einem Tief während des Spiels wieder herauszieht? «Das macht der Golf-Gott», sagt er, «der schafft es immer, dass ich nach ein paar Schlägen wieder ins Spiel zurückfinde.»
Ich erzähle ihm, dass ein herrlich durchgeknallter Engländer einmal in seinem Testament den Wunsch geäussert hat, dass seine Asche an Loch 14 auf dem Golfplatz in Samedan verstreut wird, was dann auch gemacht wurde. Dann frage ich ihn, welchen Satz er sich auf seinem Grabstein wünschen würde. Kurz überlegt er und sagt: «Er hat uns zum Lachen gebracht.» Ein in seiner Schlichtheit und Aussagekraft wunderbarer Satz. Und während wird weiterlaufen frage ich ihn, ob es ein niveauvolles Lachen genauso wenig gibt wie einen niveauvollen Orgasmus. Er lacht. Die Frage gefällt ihm, aber auch jetzt überlegt er kurz. Er sagt: «Also, die Franzosen nennen ihn la petite mort. Das trifft es ganz gut. Sie meinen damit den kurzfristigen Verlust von Kontrolle. Im Umkehrschluss heißt das ja: Wenn Du zu viel an den Orgasmus denkst, kommt er nie. Beim Humor ist es ähnlich.»
Das Thema Humor verfolgt uns während dieser ganzen Golfrunde. Es gibt einige humorvolle Golfer, die Sätze für die Ewigkeit hinterlassen haben. Der US-amerikanische Schauspieler Jack Lemmon zum Beispiel. Er wurde als Komödiant in den Filmen von Billy Wilder bekannt und hat einmal gesagt: «Wenn es Dir schwerfällt, neue Leute kennenzulernen, so hebe einfach den falschen Golfball auf.» Unvergesslich auch die Worte des Golfprofis Craig Stadler: «Weshalb ich mit einem neuen Putter spiele? Weil der alte nicht so gut schwimmen konnte.» Das sind Sätze, die man mal so sagt. Aber mit Humor auch sein Leben zu finanzieren, ist ein ganz anderes Ding. Und natürlich ist Claudio Zuccolini vor einem neuen Programm immer auch ein bisschen nervös. «Das ist schon hart, wenn du das erste Mal mit deinen Sachen raus gehst», sagt er, «du weisst ja nie, wie es ankommt.»
Inzwischen zeigt sich auch der Himmel ein wenig blau. Der Komiker schwärmt. Das Engadin trage nicht ohne Grund den Titel «das schönste Hochtal der Welt». Jedes Mal, wenn wer mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern von Zürich kommend den Julier-Pass hinunterfährt, gehe ihm das Herz auf. Er sagt: «Hier im Engadin kann ich mich auch gut auf die ersten Auftritte mit einem neuen Programm vorbereiten.» Und welchen Golfplatz spielst Du am liebsten? Samedan oder Zuoz? «Ganz klar Samedan», sagt er, «beim Golfen bin ich ein fauler Hund, der Platz in Zuoz ist mir zu anspruchsvoll. Aber natürlich spiele ich ihn zwischendurch auch ganz gerne.» Golf braucht allerdings auch Zeit, passt der Sport deshalb noch in die heutige Zeit, in der alles kürzer und kurzfristiger zugeht? «Gerade deshalb ist Golfen perfekt», sagt er, «weil Du im Hier und Jetzt bist und vom ganzen Alltagswahn mit Social Media und Verpflichtungen und dem grossen Durcheinander in der Welt endlich abschalten und für ein paar Stunden alles vergessen kannst». Alles andere ist in seinem Bühnenprogramm zu sehen!